Von der Bundesliga sind sie weit entfernt, auch die 2. Liga ist ganz weit weg für viele Traditionsklubs, die den deutschen Fußball früher mitprägten. Inzwischen sind sie – im besten Fall – in der viertklassigen Regionalliga beheimatet. Manche auch in der Bezirksliga oder tiefer. FUSSBALL.DE wirft in der Serie „Tränen, Triumphe, Tradition“ einen Blick auf Vereine, deren größte Erfolge lange zurückliegen, die aber immer noch viele Fans bewegen. Heute, Teil 6: SC Tasmania 1900 Berlin, inzwischen SV Tasmania Berlin e.V., Berlin-Liga.
Fragt man jemanden nach seiner spontanen Assoziation mit dem Begriff „Tasmania“, fallen häufig Begriffe wie Negativrekord, Erfolgslosigkeit oder Verlegenheits-Aufsteiger. Die Berliner Katastrophen-Saison 1965/66 hat sich in das kollektive Gehirn der Bundesliga-Geschichte gebrannt. Das Team schoss die wenigsten Tore (15), holte die wenigsten Siege (2) und lockte die wenigsten Zuschauer (827) zu einem Spiel an. Die Kicker aus dem Berliner Bezirk Neukölln bekamen die meisten Gegentore (108) eingeschenkt, kassierten die meisten Niederlagen (28) und mussten die höchste Heimniederlage hinnehmen (0:9 gegen den Meidericher SV).
Ein Kranz für den 100. Gegentreffer
Die Vielzahl der Misserfolge macht es den Berlinern unmöglich, sich an jedes Spiel zu erinnern. Allgegenwärtig wird aber allen Aktiven und Zuschauern das Match vom 30. April 1966 sein. Nachdem der Aufsteiger im Spiel gegen Frankfurt den 100. Saisongegentreffer kassierte, legten die Fans einen Trauerkranz mit einer goldverzierten 100 hinter den Kasten von Torhüter Heinz Rohloff.
Dieser will die Zeit dennoch nicht missen. Der heute 73-Jährige sagte gegenüber FUSSBALL.DE: „Die Vergangenheit holt mich immer wieder ein. Ich bekomme immer noch Fanpost. Das ist schön.“ Erinnerungen werden mit Abstand betrachtet eben meist besser als schlimmer.
Wie kam es zum Ausflug in das Oberhaus?
Aller Negativrekorde Anfang war der Zwangsabstieg von Hertha BSC im Jahre 1965. Der DFB wollte unbedingt einen West-Berliner Klub im Oberhaus haben. Die Hertha fiel weg. Der Berliner Staffelmeister Tennis Borussia scheiterte bereits in der Aufstiegsrunde. Und der zweitplatzierte Spandauer SV lehnte die DFB-Offerte ab. Einzig Tasmanias Funktionäre ließen sich von der Aussicht auf die Bundesliga-Millionen blenden und sagten dem DFB zu.
Schnell wurde klar: Tasmanias Equipe war der Herausforderung Bundesliga nicht gewachsen. Auch wenn damalige Spieler wie Torwart Rohloff oder auch Kapitän Becker den Ausflug ins Oberhaus trotz der zahlreichen Pleiten als eine schöne Zeit beschreiben, war die Saison 65/66 der Anfang vom Untergang des SC Tasmania 1900 Berlin.
Lackierte Bälle und späte Rückreisen
Einen ganzen Kader erfahrener Bundesligaspieler konnte sich der SC nicht leisten. Einen Star aber wollten die Berliner unbedingt haben: Horst Szymaniak. Überraschenderweise sagte der ehemalige Nationalspieler zu. Die Berliner kauften den Profi von seinem italienischen Klub FC Varese offiziell für die maximal erlaubte Ablösesumme von 50.000 DM frei. Insgesamt gab der Verein 1965 knapp 400.000 DM an Handgeldern und Ablösesummen für die 20 Lizenzspieler aus.
Doch neben den Gehältern musste der Aufsteiger ungewohnt hohe Kosten für Trainingsbetrieb, Stadionbewirtung und die Reisen zu Auswärtsspielen stemmen. Die Trainingsstätte der Neuköllner hatte weder Flutlicht noch spielbaren Rasen. Nicht selten wurde auf Schotterplätzen gekickt. Um auch abendliche Übungseinheiten abhalten zu können, lackierten die Tasmanen ihre Bälle vollständig weiß. Not macht eben erfinderisch.
Auch die zu Beginn der Saison hohen Zuschauereinnahmen bei Heimspielen nahmen kontinuierlich ab. Der Tiefpunkt wurde im Januar 1966 erreicht – am Duell gegen Borussia Mönchengladbach waren lediglich 827 Menschen interessiert.
Zunehmend geringer wurde außerdem das Reisebudget der Mannschaft. Der Ausflug zum letzten Auswärtsspiel nach Schalke ging am Abend direkt retour nach Berlin. Für eine Übernachtung im Hotel reichte das Geld nicht mehr.
Dreimal knapp am Wiederaufstieg vorbei
Retour ging es daher auch umgehend in die Regionalliga. Die Jahre nach dem unvermeidlichen Abstieg waren sportlich gesehen aber gar nicht schlecht. Das Neuköllner Team spielte in den folgenden sieben Jahren in der damals zweithöchsten Spielklasse oben mit und verpasste dreimal sogar nur knapp den Wiederaufstieg.
Die Saison 1972/73 sollte dann aber Tasmanias letzte sein. Der Blick in die Bücher versprach nichts Gutes: 800.000 DM Schulden. Das bedeutete den Konkurs. „Der Verein hatte jahrelang stark an den wirtschaftlichen Verhältnissen zu knabbern. Letztlich verloren die Verantwortlichen den Kampf gegen die Schulden“, bringt es Detlef Wilde, heutiger Vereinsvorsitzender der Tasmanen, auf den Punkt. Im Juni 1973 wurde der Verein aufgelöst.
Neubeginn von ganz unten
Bereits im Februar 1973 wurde der Verein SV Tasmania 73 Neukölln gegründet. Dieser war rechtlich zwar unabhängig vom SC, wird inoffiziell aber als Nachfolgeverein angesehen. Der Großteil der Verantwortlichen und Spieler des alten Klubs schloss sich dem SV an. Trotzdem mussten sie von ganz unten anfangen.
Vierzig Jahre später spielt der SV Tasmania Berlin, wie der Klub seit 2011 offiziell heißt, in der Berlin-Liga. „Sportlich sind wir zufrieden mit unserer ersten Elf. Wir planen die Zukunft des Teams in der Berlin-Liga“, beschreibt Vereinsboss Wilde die Perspektive.
Andere Pläne hat der Verein mit seinen Juniorenteams. „Unsere A-Jugend gehörte im Jahr 2003 zu den Gründungsmitgliedern der U19-Bundesliga und spielte dort bis 2007. An diese Erfolge wollen wir langfristig wieder anknüpfen“, sagt Wilde.
Junge Fans? Fehlanzeige!
Heute verfolgen etwa 60 treue Anhänger die Spiele der Tasmania – auch auswärts. Das Problem dabei ist, dass die meisten Fans schon in der Bundesligasaison 66/67 dabei waren. „Einerseits freuen wir uns über die Treue unserer Anhänger. Andererseits müssen wir uns aber auch eingestehen, dass es uns an jüngeren Sympathisanten mangelt.“
Auf die Frage, ob es ihn nervt, wenn sein Verein immer auf das Bundesligateam von damals reduziert wird, lächelt Wilde nur. „Besser eine negative Vergangenheit als gar keine.“
Quelle: FUSSBALL.DE
Der ewige Letzte